Bedrohung des Wattenmeers

Norderney | Norden. Die jüngste Bewertung der Weltnaturschutzunion (IUCN) schlägt auch in Ostfriesland hohe Wellen. Das Prädikat für das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer wurde von „gut“ auf „gut, mit einigen Bedenken“ herabgestuft. Damit rückt die Region zwischen Norden und Norderney stärker in den Fokus, denn hier treffen globale Herausforderungen unmittelbar auf lokale Entwicklungen. Ein aktuelles Beispiel ist der Ausbau der Offshore-Windenergie. Um den Windstrom von der Nordsee ans Festland zu leiten, werden derzeit Kabelsysteme unter der Insel Norderney verlegt. Kritiker warnen, dass diese Eingriffe den sensiblen Lebensraum Wattenmeer gefährden könnten. Mehrere Umweltverbände fordern daher eine Neubewertung der Trassenführung.

Küstenschutz und Klimawandel

Auch die ostfriesische Küste rund um Norden steht vor wachsenden Herausforderungen. Der steigende Meeresspiegel und häufigere Sturmfluten setzen Deiche und Salzwiesen unter Druck. Forschende des Alfred-Wegener-Instituts warnen, dass das Wattenmeer langfristig „ertrinken“ könnte, wenn es sich nicht schnell genug an den Anstieg des Wasserspiegels anpasst. Für Orte wie Norderney, Juist oder Norddeich ist der Tourismus ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Gleichzeitig erhöht der Besucherandrang den Druck auf die Wattflächen. Nationalparkhäuser und Ranger versuchen, durch Aufklärung und Lenkung der Besucherströme das Gleichgewicht zwischen Naturerlebnis und Schutz zu wahren.

„Wir erleben hier täglich, wie sensibel das Watt reagiert“, sagt Wattführer Bernhard Onnen von Norderney, der seit Jahrzehnten Besucher durch Priele und Schlickfelder führt. „Die Veränderungen durch Klimawandel und Tourismusdruck sind spürbar – wir müssen noch stärker aufklären und lenken.“ Auch das Besucherzentrum „Watt Welten“ am Norderneyer Hafen sieht die neue Einstufung als Auftrag. „Unsere Aufgabe ist es, den Gästen die Schönheit, aber auch die Verletzlichkeit des Wattenmeeres zu vermitteln“, erklärt eine Sprecherin des Hauses. Inselbürgermeister Frank Ulrichs (Norderney) betonte beim Spatenstich für die neuen Kabelsysteme die Bedeutung der Energiewende, räumte aber ein, dass „die Balance zwischen Klimaschutz und Naturschutz eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“ sei. Naturschutzverbände in Ostfriesland fordern strengere Regeln für Fischerei und Schifffahrt sowie eine konsequentere Kontrolle von Schadstoffeinträgen.

Das Urteil der IUCN ist ein Weckruf – auch für Ostfriesland. Zwischen Norden, Norderney und den umliegenden Inseln zeigt sich exemplarisch, wie eng globale Klimafragen und regionale Lebensrealitäten miteinander verwoben sind. Ob das Wattenmeer als einzigartiges Naturerbe erhalten bleibt, hängt entscheidend davon ab, wie konsequent Schutzmaßnahmen vor Ort umgesetzt werden.